#131

Re: [ST] Piratenpartei

Zitat:
Aktivismus macht noch keine Partei


Die Aeroflot-Maschinen aus Moskau landen in Berlin, Nürnberg, München, Düsseldorf, Hannover. Und überall stehen schon Menschen mit Schildern, auf denen der Name eines Mannes steht, den die einen als Held verehren und die anderen als Verräter verdammen: Edward Snowden. Der ist natürlich nicht an Bord, ist irgendwo in den Untiefen der internationalen Diplomatie verlorengegangen. Und ganz nebenbei hat er den Piraten, die am Wochenende zu der deutschlandweiten Flughafen-Aktion aufgerufen haben, ein perfektes Wahlkampfthema geschenkt.

Doch kann die schwächelnde Partei das tatsächlich auch für sich nutzen? "Für die Piraten ist Prism ein Elfmeter. Vor leerem Tor. Rückenwind. Abschüssiger Platz. Warum befürchtet man trotzdem, dass sie verfehlen?" So beschreibt Blogger Sascha Lobo, was derzeit viele denken.

Zitat:
Für die Piraten ist #Prism ein Elfmeter. Vor leerem Tor. Rückenwind. Abschüssiger Platz. Warum befürchtet man trotzdem, dass sie verfehlen?


Noch vor ein paar Wochen hörte man von den Piraten tatsächlich nicht viel in der Debatte. Doch das ändert sich allmählich. Davon zeugt nicht nur die kreative Flughafenaktion, die die Anhänger der Partei jetzt auf Twitter und Youtube verbreiten. Den Piraten gelingt es auch zunehmend, ihre Leute in den wichtigen Talkshows und Online-Medien zu platzieren.

Überzeugende Aktivisten


Da ist zum Beispiel Katharina Nocun, politische Geschäftsführerin der Piraten und überzeugte Datenschützerin. Wer sich in den vergangenen Wochen mit der 26-Jährigen unterhält, erlebt eine Aktivistin, die vor Erregung sprüht, die wütend ist - und die auch in der Lage ist, ihre Wut in pointierte Thesen zu packen.

"Auf der Suche nach Freiheit haben meine Eltern Universitäten besetzt und nach Deutschland rübergemacht", schreibt die in Polen geborene Studentin im Debattenmagazin The European. "Die Kinder sollten es einmal besser haben. In Freiheit. Nun kann ich im Supermarkt zwischen mehr als 20 verschiedenen Ketchup-Sorten wählen. Aber meine digitale Post wird vom Geheimdienst geöffnet. Ist das die Freiheit, die sich meine Eltern für mich gewünscht haben?" Wer da keine Gänsehaut kriegt, dem ist nicht zu helfen.

In der Wochenzeitung Freitag berichtet sie von einer Verfassungsbeschwerde gegen die Bestandsdatenauskunft, die sie gemeinsam mit ihrem Piraten-Freund Patrick Breyer beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat. "Die Sicherheitsideologie der Politiker macht Bürgerrechtler zu Karlsruhe-Touristen", schreibt sie da. "Gebraucht werden die Bürgerrechtler aber in den Parlamenten."

In einem Gastbeitrag auf Süddeutsche.de rechnet sie mit all jenen ab, die die flächendeckende Überwachung von Internet-Kommunikation verteidigen: "Vorschlag zur Güte: Wenn Ihnen das nichts ausmacht, können Sie ja einen wöchentlichen Bericht an einen Geheimdienst Ihrer Wahl schicken, aber ziehen Sie nicht den Rest der Bevölkerung da mit rein."

Und nicht nur Nocun, auch andere Piraten drängen in die Medien: zum Beispiel das Ehepaar Anke und Daniel Domscheit-Berg. In der Talkshow von Maybrit Illner zum Beispiel brachte Anke Domscheit-Berg (laut Focus in der Debatte gar "omnipräsent") den NSA-Überwachungsapparat mit einem schmissigen "Das wäre der feuchte Traum der Stasi" auf den Punkt, während ihr Mann Daniel einen begeisterten Markus Lanz in dessen Talkshow gar zu einer Wahlempfehlung für die Piraten verleitete.

Sie alle sind in Sachen Datenschutz und Überwachung absolut glaubwürdig, sie sind Aktivisten im besten Sinne, brennen für ihre Sache, sind überzeugt und überzeugend. Aber gehören sie und ihre Partei tatsächlich in den Bundestag? Noch sagen die meisten Wähler: Nein. Gerade einmal drei Prozent würden ihnen im Deutschlandtrend der Tagesschau ihre Stimme geben. Das reicht nicht für einen Einzug ins Parlament.

Und die Skepsis der Wähler ist mehr als berechtigt. Denn egal, wie glaubwürdig eine Katharina Nocun, wie sachkundig ein Ehepaar Domscheit-Berg ist, ganz egal, wie viele Kryptologie-Partys die Piraten veranstalten, auf denen sie Bürgern verschlüsselte Online-Kommunikation beibringen: Das alles sagt relativ wenig darüber aus, ob sie auch als Fraktion im Bundestag funktionieren würden.

Denn das größte Problem der Piraten ist nicht - wie anfangs gedacht - der Mangel an starken Themen. Das widerlegt der Prism-Skandal gerade auf eindrückliche Art und Weise. Vielmehr sind es die Strukturen der Piraten als Partei, die sich als zu unfertig, zu zerstörerisch erwiesen haben. Die Streitereien, das gegenseitige Mobbing, die Shitstorms und Shitstörmchen, die unbedachten Äußerungen einiger Vertreter und der noch unbedachtere Umgang der Partei als Ganzes mit ihnen - all das ist ja erst wenige Wochen her.

Chaostruppe oder ernstzunehmende Alternative?


Das reicht nicht, damit sich die Piraten in den Köpfen der Menschen von der Chaostruppe in eine ernstzunehmende politische Alternative verwandeln. Tatsächlich kann selbst der überzeugteste Pirat nicht garantieren, dass eine mögliche Piratenfraktion im Bundestag sich nicht in persönlichen Machtkämpfen verstricken, in unbedeutendem Kleinklein verlieren würde.

Selbst wenn Einzelne von ihnen - wie eben Nocun oder Anke Domscheit-Berg - im Bundestag sicher eine gute Figur abgeben würden: Den Piraten fehlen nach wie vor ein Parteiapparat, der Diskurse zwischen Basis und Führungspersönlichkeiten moderieren und in die richtigen Bahnen lenken könnte. Möglich wäre sogar, dass sich die Machtkämpfe in der Partei noch verstärken würden, wenn dem ehrenamtlichen Vorstand auf einmal eine gut ausgerüstete Bundestagsfraktion gegenüberstünde.

Die Piraten nach all ihren Skandalen und Skandälchen jetzt in den Bundestag zu wählen, hieße, ihnen einen enormen Vertrauenszuschuss zu gewähren. Es hieße, womöglich für vier Jahre voller kommender Skandale und Skandälchen mitverantwortlich zu sein - und diesmal nicht nur in Länderparlamenten, sondern auf der ganz großen Bühne. Vielen Wählern ist dieses Risiko offenbar zu hoch und den Piraten bleibt nur noch wenig Zeit, das zu ändern. Elfmeter hin oder her.



Zitat:
Durch Deutschland brandet die erste große Internet-Debatte seit Jahren, es geht um Überwachung, Bürgerrechte und die Freiheit des Netzes. Eigentlich eine Steilvorlage für die Piraten. Doch in den Umfragen dümpeln sie weiter vor sich hin. Warum eigentlich?


Nein, ganz verschwunden sind sie nicht. Als die Kanzlerin Mitte Juni mit Barack Obama vor dem Brandenburger Tor um die Wette schwitzte, demonstrierten nebenan Piraten an der Siegessäule. Gegen Internet-Überwachung, gegen nebulöse Geheimdienst-Spitzeleien. Nicht viele erschienen, aber immerhin hatte man schnell eine Aktion gestemmt. Vor kurzem gab es noch eine Piratendemo in Berlin, zur Unterstützung für den Whistleblower Edward Snowden.

Eigentlich bietet die Prism-Spähaffäre gleich mehrere Steilvorlagen für die Piratenpartei. In Deutschland tobt die erste große Internet-Debatte seit Jahren. Es geht um Überwachung, die Grundsätze internationaler Geheimdienst-Kooperation, Bürgerrechte im Netz - und um Transparenz. Fragenkataloge werden in drei Sätzen abgebügelt, und die wirklich interessanten Konsultationen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Gleich zwei Delegationen der Bundesregierung reisen diese Woche nach Washington. Livegestreamt werden deren Gespräche sicher nicht.

Doch nützt all das den Piraten? Müssten sie nicht davon profitieren, dass ihre Kernthemen plötzlich die Weltpolitik bestimmen? Müsste sich nicht jeder um die Expertise der netzaffinen Nachwuchspolitiker reißen?

Hallo, jemand zu Hause?


Ein Blick in die Demoskopie zeigt: Es nützt ihnen nichts. "Unsere Aufgabe der nächsten Monate wird es sein, den Menschen zu erklären, was hier passiert", sagte die Piratin Marina Weisband beim Wahlkampfauftakt in Berlin. Doch man fragt sich: Hört überhaupt noch jemand zu?

Dabei wirken die Piraten im Gegensatz zur Nebeneinkünfte-Debatte, die sie verpennten, diesmal mehr auf Zack. Das Piratenpaar Anke und Daniel Domscheit-Berg erklärt in Talkshows die Gefahren eines Orwell-Staates. Die Partei organisiert Cryptopartys, auf denen man lernen kann, wie man Daten abhörsicher macht und Mails verschlüsselt. Kein Tag vergeht ohne Pressemitteilung, Petition oder Appell.

Das eigentliche Problem ist, dass der Piraten-Politikstil jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, mehr irritiert als anzieht. So wie viele Menschen in der Euro-Krise nach einer soliden Staatenlenkerin wie Angela Merkel rufen, brauchen gerade unentschlossene Wähler ein Minimum an Orientierung. Sie wollen ungefähr wissen, wen sie sich da ins Haus, beziehungsweise in den Bundestag holen.

Snowden ist ein Held, Geheimdienste sind böse


Doch die Piraten wissen selbst nicht, wer sie sein wollen. Sind sie die Spaßpartei, die an Flughäfen Flashmobs organisiert, um einen imaginären Snowden vom Gate abzuholen? Oder sind sie die Neo-Seriösen, die in gestanztem Politsprech offene Briefe an Angela Merkel schreiben? Ein beunruhigend großer Teil scheint zudem lieber einem Club der Verschwörungstheoretiker angehören zu wollen. In einigen Statements liest sich das Weltbild von Piraten so simpel wie unreflektiert: Snowden ist ein Held. Die Bundesregierung lügt. Geheimdienste sind böse.

Eine pure Anti-Haltung wird nicht reichen, um eine Wahl zu gewinnen. Auch mögen die Piraten mehr netzaffine Leute vereinen als alle anderen Parteien zusammen. Doch "das Internet" haben sie damit nicht gepachtet. Die Netzszene beäugt die Partei schon länger skeptisch. Und wirklich überzeugende Argumente, warum die Piraten von innerer Sicherheit und dem Geflecht von Geheimdiensten mehr Ahnung haben sollen als Grüne, SPD oder FDP hat die Partei bislang nicht geliefert.

Noch immer hoffen viele Piraten auf die Wiederbelebung. Das fängt sich wieder, lasst uns erstmal in den Straßenwahlkampf starten, heißt es. "Wenn wir zwei Wochen vor der Bundestagswahl bei vier Prozent stehen, kommen wir rein", sagt Christophe Chan Hin aus dem Bundesvorstand. Der Kommunikationsdesigner hat die Wahlplakate mitgestaltet. Die sind tatsächlich originell und frisch geraten . Doch dass die Prism-Debatte bislang so gar nicht abfärbt, hat auch ihn überrascht.

Ein Elfmeter mit Rückenwind


Der Netzaktivist und SPIEGEL-ONLINE-Kolumnist Sascha Lobo twitterte neulich: "Für die Piraten ist #Prism ein Elfmeter. Vor leerem Tor. Rückenwind. Abschüssiger Platz. Warum befürchtet man trotzdem, dass sie verfehlen?"

Vermutlich, weil sie ihr Vertrauen längst verspielt haben. Und weil Sympathien nicht automatisch zurückfließen, nur weil selbsternannte Datenschützer der großen Parteien, wie zum Beispiel CSU-Chef Horst Seehofer, ebenfalls wenig glaubwürdig erscheinen.

Zwar können die Piraten noch immer damit punkten, dass sie sich von der Gleichförmigkeit der Konkurrenz abheben. Nur leider oft genug negativ - etwa wenn Listenkandidaten Interviews zum Fremdschämen geben oder der Pressesprecher eines Landesverbands eine öffentliche Lästerjagd auf die eigene Spitzenkandidatin beginnt.

Popcorn! rufen dann Piraten-Anhänger im Netz und freuen sich über ihren eigenen Unterhaltungswert. Man würde meinen, die Piraten haben aus ihren zahlreichen öffentlich ausgetragenen Peinlichkeiten Lehren gezogen. Das haben sie nicht.

Es interessiert nur kaum noch jemanden.

Benutzer die sich bedankt haben: 3